"Auf der Suche nach
Zusammenhängen"
PROGRAMM
13.9. Verfolgt und vergessen,
Medienwerkstatt Franken, BRD 1985, 62 min
14.9. Deckname Schlier, Wilma Kiener, Dieter Matzka, Ö/BRD 1984, 90 min
11.10. Zeitzeugen: Fritz
Kleinmann: Rückkehr unerwünscht, Karin Berger, Lotte Podgornik, Ö
1990, 34 min, Zeitzeugen: Marija Olip: Kein Ort für Slowenen, Karin Berger,
Lotte Podgornik, Ö 1990, 27 min
12.10. Zeitzeugen: Rosa Winter: So richtig vogelfrei, Karin Berger, Lotte Podgornik,
Ö 1990, 20 min, Zeitzeugen: Mali Fritz: Um Würde kämpfen, Elisabeth
Holzinger, Ö 1990, 37 min
15.11. Küchengespräche
mit Rebellinnen, K. Berger, E. Holzinger, L. Podgornik, N. Trallori, Ö
1984, 80min
16.11. Erinnerungen an ein verlorenes Land, Manfred Neuwirth, Ö 1987, 70
min
13.12. Pfui - Unzucht + Ordnung
in Deutschland, BRD 1994, Teil 1: Die Farbe Braun, Ulrike Anders, 30 min, Teil
2: Der Obertan, Rainer Grams, 34 min, Teil 3: Er hat 'ne Glatze und ist Rassist
- er ist schwul und ein Faschist, Jürgen Brüning, 26 min
14.12. Lubitsch Junior, C. Bau, J. Huckeriede, M. Oppermann, J. Ramcke, P.Stockhaus,
BRD 1990, 70 min
Falter 46/95, S. 26
Lügen wie ein Zeitzeuge
Mit der Reihe "Auf der Suche nach Zusammenhängen" antwortet die
Medienwerkstatt auf die selbstgestellte Frage nach den Möglichkeiten des
Mediums Video heute.
MICHAEL OMASTA
Na horen Sie mal", empört sich der weißhaarige Achtzigjahrige
vor laufender Kamera, ,,meine Existenz mußte ja verschwiegen sein."
Maier ist der Name, und Herr Maier behauptet von sich, der illegitime Sohn des
emigrierten Filmregisseurs Ernst Lubitsch zu sein. Und nicht nur das: Herr Maier,
zu Beginn der vierziger Jahre am deutschen Fronttheater in Warschau als Schauspieler
tätig, will Waffen für die Widerstandsbewegung ins Getto geschmuggelt
haben, später gerade eben noch der Verhaftung durch die Gestapo entkommen
und zuletzt nahe Moskau, unter dem Decknamen Schwarzer Peter, zum Geheimagenten
ausgebildet worden sein.
Gewiß, auf den ersten Blick ist es ein absoluter Glücksfall für
jeden Dokumentaristen, jemanden wie Herrn ,,Lubitsch Junior" zu finden.
Eine Persönlichkeit, eine Karriere, die sämtliche Bedürfnisse,
die man als Interviewer noch an einen Zeitzeugen stellen mag, vollends befriedigt.
Auf den zweiten Blick freilich stellt sich die Frage, ob all das, was ein Zeitzeuge
wie er zu erzählen hat, auch tatsächlich der Wahrheit entspricht.
Zu diesem Zweck haben die Filmemacher, das Hamburger Kollektiv die thede, einen
Filmhistoriker, Psychoanalytiker und weitere Zeitgenossen hinzugezogen, die
Mittel der Oral History, während sie an diesem Film arbeiteten, ganz allgemein
gründlich hinterfragt.
Der Videofilm ,,Lubitsch Junior" bildet den Schlußpunkt der von der
Medienwerkstatt Wien organisierten, vierteiligen Programmreihe ,,Auf der Suche
nach Zusammenhängen: eine Dokumentarreihe zum Thema Faschismus"; die
die Grenzen und Möglichkeiten politischen Arbeitens mit Video heute zu
erörtern versucht.
,,Wenn man etwas zu sagen hat", geben sich die Kuratorinnen der Filmreihe,
Gerda Lampalzer und Eva Brunner-Szabo, zuversichtlich, ,,ist Video immer noch
ein gutes Medium. Allerdings gibt es in dieser Diskussion unseres Erachtens
einen akuten Argumentationsnotstand der unter anderem auf so eine Art linker
Moral zurückzuführen ist, die schon sehr verbiestert und selten genug
bereit ist, mit Tabus zu brechen. Dabei sollte es weniger um ein neuerliches
Aufwärmen der alten Opfer-Täter-Diskussion gehen. Was uns vorschwebt,
wäre eine Art Konfliktmodell, das auch sehr stark in den persönlichen
Bereich hineinführt: daß man auch versucht, das rechte Gedankengut
aufzuspüren, das heute noch vorhanden ist."
Diesem Vorsatz zeigt sich auch die Auswahl der gezeigten Videoarbeiten' die
ausnahmslos mit Produktionen aus Österreich und Deutschland bestritten
wird, verpflichtet. ,,Thematisch haben wir versucht, einen Weg nachzuzeichnen,
der bei Verdrängtem ansetzt, das aber, wie-etwa in ,,Deckname Schlier"
von Wilma Kiener und Dieter Matzka angetönt wird, beispielsweise in Form
der ganzen Technophantasien, in der Gentechnik etcetera, bis heute hereinwirkt.
Auf diesem Gebiet werden die Kontinuitäten genausowenig gesehen wie bei
manchen der sözusagen klassischen Opfergruppen, den Zigeunern, wo man heute
sagt: Ja, sind anerkannt, ist eh alles in Ordnung."' (Lampalzer)
Den aktuellen, dritten Teil der Filmreihe bilden zwei größere Videoprojekte
aus eigener Produktion, die sich auf höchst unterschiedliche Weise mit
Aspekten der kollektiven Erinnerung auseinandersetzen: der Portraitfilm ,,Küchengespräche
mit Rebellinnen", für den die Frauenriege der Medienwerkstatt 1984
vier Frauen über ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Österreich
befragte, und Manfred Neuwirths 1988 auch im Kino gezeigte Dokumentation ,,Erinnerungen
an ein verlorenes Land", das jenes unbekannte Terrain rund um die niederösterreichische
Gemeinde Döllersheim erschließt, welches kurz nach Hitlers Machtübernahme
zum Militärgebiet erklärt wurde und als Truppenübungsplatz Allentsteig
bis heute ein Begriff geblieben ist.
Hauptsächlich ältere Damen seien es gewesen, erzählt Gerda Lampalzer,
die sich bei den ersten beiden Terminen zu den Vorführungen eingefunden
haben. Zeitzeugen, die sich das angeschaut, aber nur wenig Lust zum Diskutieren
hatten:
"Ich bin mir aber auch gar nicht sicher, ob das so wichtig ist. Diese Reihe
ist ja fast schon eine Reminiszenz an eine klassische Form des Videos, wie sie
heute kaum mehr präsentiert wird." So gesehen, ist es natürlich
auch kein Zufall, daß die Ende der siebziger Jahre gegründete Medienwerkstatt,
ein Zusammenschluß mehrerer der damals aktiven Videoinitiativen, heute
schon wieder eine der letzten Institutionen ihrer Art in ganz Österreich
ist.
Wie man, gerade im Zeitalter der Neuen Medien, so lange überlebt? Antwort:
durch persönlichen Einsatz, die schmale Subvention einer professionellen
Infrastruktur und die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit.
Was darunter auch zu verstehen ist, soll, der Programmatik Lampalzers und Brunner-Szabos
folgend, nicht zuletzt anhand eines Extremfalls wie "Lubitsch Junior"
veranschaulicht werden. Denn die Geschichte des Herrn Maier, das fanden die
Filmemacher aber erst im Zuge ihrer Arbeit heraus, war dessen eigene, freie
Erfindung: ein mutmaßlicher Täter, der sich selbst zum Opfer stilisiert.
Die Filmemacher haben seine Geschichte regelrecht als Dokumentarfilm inszeniert
- mit Interviewpassagen, Filmausschnitten, Off-Kommentar und dem Schauspieler
Heinz Joachim Klein in der Titelrolle!
Ein perfekter Zeitzeuge, eine perfekte Inszenierung, kurz: ,"Lubitsch Junior"
ist der perfekte Dokumentarfilm. Gerda Lampalzer dazu: ,,Der Film nimmt den
guten alten antifaschistischen Dokumentaristen aufs Korn, indem er sich den
idealen Zeitzeugen erfindet. Ich hab' Vorführungen erlebt, die haben Empörung
ausgelöst, vor allem bei anderen Filmemachern weil hier natürlich
ihre Ehre beschmutzt wird. Deshalb haben wir ihn an den Schluß dieser
Reihe gesetzt, sozusagen als Kommentar unsererseits."